Perspektive Arbeitswelt 03/2022

| 15 Warum entwickeln Frauen und Männer unterschiedliche Symptome? Der Grund für ein unterschiedliches Kranksein von Frauen und Männern liegt darin, dass Frauen und Männer bio- logisch anders funktionieren. Nicht komplett anders, doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Genauer gesagt: in vielen Details. Es beginnt damit, dass Männer und Frauen unterschied- liche Geschlechtschromosomen haben. Die wiederum sorgen u. a. dafür, dass Körperfunktionen wie beispiels- weise die Verdauung oder das Herz-Kreis- laufsystem geschlechtsspezifische Beson- derheiten aufweisen. Die Unterschiede im Verdauungssystem aber führen dazu, dass Medikamente unterschiedlich ver- stoffwechselt werden und eine andere Wir- kung entfalten können. Frauen und Männer haben des Weite- ren unterschiedlich viele Rezeptoren für Medikamente, einen abweichenden Ta- gesbedarf bei vielen Vitaminen und Mi- neralstoffen und auch andere Norm- bereiche bei den Blutwerten. Frauen verfügen aufgrund des Geschlechts- hormons Östrogen über eine stär- kere Immunabwehr. Hingegen sind bei Männern aufgrund des größeren Blut- volumens die Organe besser durchblutet – auch das kann die Wirksamkeit von Medikamenten beeinflussen. Und aufgrund der biologischen Unterschiede braucht eine Tablette für den Weg durch Magen und Darm ei- ner Frau ungefähr doppelt so langewie bei einem Mann. Auch der Abbau von Wirkstoffen in der Leber dauert länger. Aufgrund dieser und weiterer Unterschiede sind Männer und Frauen anders krank und reagieren auch anders auf Arzneistoffe. Doch auch im Gesundheitsverhalten gibt es Unterschiede: Frauen neigen häufiger als Männer dazu, die ärztliche Medikation durch frei verkäufliche Präparate zu ergänzen oder gar ganz zu ersetzen. Das führt mitunter zu weiteren Problemen. Denn nicht alles frei Verkäufliche ist wirksam und ungefährlich, auch kann es zu Wechselwirkungen mit verordneten Präpa- raten kommen. ACE-Hemmer: Bei Frauen tritt Reizhusten als Nebenwirkung häufiger auf als bei Männern. Aspirin zur Vorbeugung gegen Herzinfarkt oder Schlaganfall: Hier profitieren vor allem Männer. Betablocker: Frauen benötigen oft eine niedrigere Dosierung. Chemotherapie bei Krebs: Frauen und Männer verarbeiten die Medikamente teilweise unterschiedlich und vertragen sie auch nicht gleich gut. Diuretika: Muskelschwäche und Herzrhythmusstörungen als Nebenwirkung sind bei Frauen häufiger als bei Männern. Impfungen und antivirale Therapien: Frauen zeigen oft eine stärkere Abwehrreaktion und leiden verstärkt unter Nebenwirkungen Schmerzmittel: Die benötigte Menge ist (bezogen auf das Körpergewicht) bei Frauen oft geringer. So unterschiedlich können Medikamente wirken Unterschiede fanden bislang in der Forschung zu wenig Berücksichtigung Die Frage, warum denn in der Arzneimittelforschung kaum Rücksicht auf die Unterschiede zwischen Mann und Frau genommen wird, führt zu einigen Standards in der Forschung, die bis in die 1990er Jahre kaum pro- blematisiert wurden. Da aber ein Großteil der heute verordneten Medikamente aus dieser Zeit oder noch früheren Jahren stammt, gibt es kaum Erkenntnisse be- züglich der unterschiedlichen Wirksamkeit. Es beginnt bereits damit, dass in Tierversuchen fast ausschließlich männliche Tiere verwendet wurden, weil der weibliche Hormonzyklus die Testergebnisse be- einflussen kann. Die überwiegende Konzentration auf männliche Probanden setzt sich bis in die klinischen Studien am Menschen fort. Erst seit 2004 müssen in Deutschland durchgeführte kli- nische Studien geschlechtsspezifisch unterschiedliche Wirkungsweisen von Medikamenten untersuchen. Das wird jedoch häufig dadurch umgangen, dass Studien teilweise ins Ausland verlagert oder auf mehrere Län- der verteilt werden. Es bleibt also noch viel zu tun.

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